http://www.news.at/a/gastkommentar-peter-handke-news
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Lesen, arbeiten, gehen, den Leuten, die man mag, in die Augen schauen: Das war mein Jahr. Denn wirtschaftlich ist es in Frankreich viel schlimmer als in Österreich. In den Dörfern und den kleinen Städten herrscht eine entsetzliche Wut gegen das System, gleich, ob sozialdemokratisch oder konservativ. Rebellion ist aber chancenlos, denn die Politiker sind Marionetten der Wirtschaft. Steuern erhöhen oder Krieg führen ist ihre letzte Wirkmächtigkeit.
Dieser Wirklichkeit kann man nicht entgehen, aber man kann sich von ihr abstoßen. Als einer der Letzten, die noch utopisch schreiben, lebe ich davon, dass ohne diese furchtbare Wirklichkeit auch keine Bilder von etwas anderem entstehen könnten. Zu Obama habe ich in diesem Jahr jedes Vertrauen verloren: ein Karrierist wie alle westlichen, vielleicht auch östlichen Politiker, ein Barack Ohnedampf in allen Gassen. Dass sich die Kirche eine neue Fassade verordnet hat, ist nicht schlecht. Aber um tatsächlich etwas verändern zu können, müsste man in dieser Zeit etwas anderes als Papst sein. Zumal ich empört dagegen bin, von Homosexuellen-Ehe zu sprechen: Man soll diese Verbindungen schützen und anerkennen, aber die Ehe ist für mich ein Sakrament, eine einmalige Sache zwischen Mann und Frau. Einer Mutter Kind zu sein ist etwas Herrliches, etwas aus der Nacht der Zeiten, als die Nacht noch hell war. Das päpstliche Herumlavieren in dieser Frage gefällt mir nicht. In dieser Hinsicht bin ich konservativ. Meine österreichischen Wahrnehmungen? Sie beschränken sich auf eine Zugfahrt von Payerbach-Reichenau nach Wien. Ich dachte, man könne sein Ticket im Zug lösen, aber das geht nicht mehr. Der Triumph in den Augen des Schaffners, als er mir 35 Euro abgeknöpft hat, so dass ich ihm noch immer eine hineinhauen möchte: Das war mein Österreich-Erlebnis des Jahres.
Wer herausfinden will, in wessen Argumentearsenal sich Merkel in der Debatte um die rechtliche Gleichstellung Homosexueller bedient haben könnte, wird unweigerlich auf Peter Handke stoßen. In einem Jahresrückblick, den Handke Ende 2013 für das österreichische Newsmagazin "News" verfasst hat, stößt man nämlich auf die gleiche antirhetorische Figur, wie sie uns auch in LeFloids Interview mit Merkel begegnet. Dieser Jahresrückblick stammt wirklich und wahrhaftig von Meister Handke selbst und ist unter der Adresse www.news.at/a/gastkommentar-peter-handke-news nachzulesen.
Es geht dort um dies und das. Beispielsweise schimpft er ein bisschen auf "Barack Ohnedampf in allen Gassen" (haha). Oder er beteuert, sich an Recht und Ordnung, Moral und Anstand, Zucht und Sitte gehalten haben und nicht einmal wider Willen ein rebellischer Schwarzfahrer gewesen sein zu wollen: "Meine österreichischen Wahrnehmungen beschränken sich auf eine Zugfahrt von Payerbach-Reichenau nach Wien. Ich dachte, man könne sein Ticket im Zug lösen, aber das geht nicht mehr. Der Triumph in den Augen des Schaffners, als er mir 35 Euro abgeknöpft hat, sodass ich ihm noch immer eine hineinhauen möchte: Das war mein Österreich-Erlebnis des Jahres." Aber am interessantesten ist eben doch die Passage über Homosexuelle. Handke schreibt, er sei "empört dagegen, von Homosexuellen-Ehe zu sprechen: Man soll diese Verbindungen schützen und anerkennen, aber die Ehe ist für mich ein Sakrament, eine einmalige Sache zwischen Mann und Frau".
Wenige Zeilen darüber bezeichnete Handke sich "als einen der Letzten, die noch utopisch schreiben". Er befindet sich damit in der glücklichen Lage, dass die Utopie, von der er hier schreibt und der zufolge "homosexuelle Verbindungen" zwar geschützt und anerkannt, aber diskriminiert werden sollen, schon längst Wirklichkeit ist. In einer bedauernswerten und unglücklichen Lage befände Handke sich freilich, wenn er mittlerweile meschugge wäre.
http://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article145501484/LeFloid-Ohnedampf-in-allen-Gassen.html
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